TRAVE CAMPUS – Gesamtquartier “Neues Wallufer” in Lübeck
Überflutungs- und Rückstauschutz sind aufgrund häufiger auftretenden Extremwetterereignisse wesentlicher Bestandteil der Planung von Entwässerungsanlagen. Ein flächendeckender Ausbau der Kanalnetze, um überproportional große Wassermengen aufzunehmen, wäre technisch kaum umsetzbar und unwirtschaftlich. Zur Vermeidung von Schäden an Gebäuden und der Infrastruktur sind deshalb individuelle Maßnahmen gefragt.
Auf dem historischen Gelände der Lübecker Stadtwerke, dem ehemaligen Standort des alten Gasometers, entsteht das Gesamtquartier „Neues Wallufer“. Es liegt direkt am Stadtgraben, der ein Teil der in die Ostsee mündenden Trave ist. Das Quartier wird nicht nur modernen Wohnraum bieten. Zusätzlich entstehen auf dem Areal gewerblich genutzte Büroflächen und Gastronomie. Neben dem Neubau sind bereits vorhandene Gebäude auf dem Gelände vorzufinden. Aus dieser Konstellation ergebenden sich Anforderungen der genehmigenden Behörde, die zu unterschiedlichen Aufgabenstellungen führen. Diese ergeben sich aus den einzuhaltenden Normen und Richtlinien. Zum einen muss die bestehende Entwässerung vom neu geplanten Bereich getrennt behandelt werden. Zum anderen muss der Bestand den neuen Anforderungen auf Grund von teilweise geänderten Nutzungen nachgerüstet beziehungsweise verbessert werden. Und alles unter dem Aspekt eines nachhaltigen Gewässerschutzes.
Bevor das Gesamtprojekt realisiert werden konnte, waren umfangreiche Bodensanierungsmaßnahmen erforderlich. Um Verunreinigungen des Grundwassers zu verhindern, wurde das Gelände zunächst nach unten mit PE-Dichtungsbahnen abgedichtet. Dadurch sickern die Niederschläge nicht durch den als kontaminiert eingestuften Boden ins Erdreich. Ein Auswaschen der Schadstoffe im Untergrund ist nicht möglich.
Ein besonderes Augenmerk lag von Beginn an auf die Entwässerungstechnik. Die direkte Lage am Ufer des Lübecker Stadtgrabens war dafür ausschlaggebend. So wurde bei der Planung der Einleitstellen von Oberflächenwasser in die Vorflut der maßgebende Hochwasserstand der Trave von 3,87 Meter üNN berücksichtigt. Rohrleitungen, Abläufe und letztlich das Gelände und die Gebäude muss vor Überflutung und Rückstau aus der Trave und den öffentlichen Leitungen gesichert werden. Dafür wurden an zwei Einleitstellen Pumpstationen für den Rückstauschutz vorgesehen. Damit, und unter Berücksichtigung der Einbauhöhen der Schächte (Deckelhöhen 3,90 üNN), wurden die amtliche Auflagen aus dem Genehmigungsbescheid für die Grundstücksentwässerungsanlage erfüllt. Zu der Entwässerung gemäß DIN 1986-100 und dem benötigten Rückhalteraum nach DWA-A117 wurde auch ein zusätzliches Überflutungsvolumen zur Verfügung gestellt. Neben den quantitativen Anforderungen an Leitungsdimensionen und Rückhaltevolumina muss das eingeleitete Regenwassers eine hohe Qualität erfüllen. Teilweise ergibt sich so eine sehr kontroverse Aufgabenstellung, bei der sich die Verantwortlichen auf einem schmalen Grad befinden. Es müssen große Wassermengen schnell abgeleitet werden und gleichzeitig für eine ausreichende Vorbehandlung Sorge tragen.
Vorrangiges Augenmerk wurde auf eine kompakte, wirtschaftliche Lösung gelegt. Das Gelände der alten Stadtwerke Lübeck besitzt viele Bestands- und Versorgungsleitungen. Diese können aufgrund der Größe und notwendigen Aufrechterhaltung der Versorgung anderer Nutzer nicht umgelegt oder abgeschaltet werden. Dadurch hat sich ein sehr begrenztes Baufeld mit knappen Abmessungen ergeben. Zudem muss die Position und Höhenlange des vorhandenen Regenwasserschachtes auf dem Grundstück bei der Planung beachtet werden, da die Entwässerung des Nachbargrundstückes darüber läuft. Aufgrund der oben angeführten Zwänge fanden eine Vielzahl an Abstimmungsgesprächen zwischen dem Planungsbüro schoppe + partner, dem Bauherr Garbers Partner und ACO statt. In diesen Gesprächen wurden verschiedenste Lösungsansätze angeführt und schlussendlich wurde sich für das jetzige Ergebnis entschieden.
Das anfallende Regenwasser von Dach- und Verkehrsflächen wurde über zwei Rückhalteräume (Rigolen) mit integrierter Drossel geleitet und anschließend in einem Kontrollschacht zusammengeführt. Die Drosseln regulieren die abzugebende Wassermenge, um den folgenden Leichtflüssigkeitsabscheider auf eine wirtschaftliche und kompakte Nenngröße auslegen zu können. Nachgeschaltet ist ein nach DIN1999-100 vorgeschriebener Probeentnahmeschacht. Um die Gebäude und angeschlossenen Entwässerungsleitungen einschließlich der geschalteten Bauwerke gegen Rückstau aus der Trave zu sichern, wurde eine Doppelpumpstation mit Rückstauschleife installiert. Diese schützt alle Bereiche der Entwässerung vor Hochwasser und verhindert eine Überflutung der Bestandsgebäude.
Die zwei Rückhalteräume mit einem Volumen von zirka 14 und 100 Kubikmeter nehmen das Regenwasser von der Dachentwässerung der umliegenden Gebäude sowie der Verkehrsflächen auf. Die in den Rigolen integrierte Drosseleinheiten gewährleisten unter Berücksichtigung der Einstauhöhe und Rohrdimensionierung eine geregelte Abgabe des zurückgehaltenen Wassers in einen zentralen Regenwasserschacht. Die Drosselleistung (32,1 l/s) erfolgte nach Vorgabe des Genehmigungsbescheides. Die Lochblendengröße der Drossel (Durchflussmenge 0 bis 52 l/s) kann objektspezifisch erstellt werden. Eine Besonderheit bei der hier eingesetzten Drosselung ist, dass sie Bestandteil eines Schachtkörpers der Rigole ist und so auf separate Drosselschächte verzichtet werden konnte. Von den Rigolen aus wird in einen Regenwasserschacht entwässert, der schon im Bestand war. Somit war die Herausforderung die einzelnen Systemkomponenten so aufeinander abzustimmen, dass die Höhe des Übergabeschachtes zum Gesamtsystem passt. Zunächst wurden der Koaleszenzabscheider, der Probenahmeschacht sowie die Doppelpumpstation gesetzt. Danach sind die Systeme über entsprechende Rohrleitungen verbunden und an einen Freiluftschrank mit Rückstauschleife angeschlossen worden. Im letzten Schritt ist der Anschluss an den vorhandenen Übergabeschacht erfolgt.
Das in den Rigolen gesammelte Dach- und Oberflächenwasser wird in die nachgeschaltete Abscheideranlage des Typs ACO Koaleszenzabscheider Oleopator-C-OST NS 40 abgeführt. Mit Hilfe der Gravitation und eines Filters werden Öl, Sedimente und Feinpartikel vom Wasser getrennt. Der Leichtflüssigkeitsabscheider mit der Nenngröße NS 40 ist aus Stahlbeton gefertigt und hat einen Schlammfang von 5.000 Liter. Ein nachgeschalteter Probenahmeschacht dient zur Entnahme von Wasserproben des aus dem Oleopator-C-OST ablaufenden Wassers. Über die ACO Doppelpumpstation Powerlift PSD-B-1500 mit Rückstausicherung und den Freiluftschrank mit Rückstauschleife wird das von Schadstoffen gereinigte Wasser in den Regenwasserschacht und anschließend in die Trave geleitet.
Das Baufeld 2 befindet sich im Bereich der Moislinger Allee und damit an der dem Wallufer abgewandten Seite des Geländes. Hier entstand vor geraumer Zeit ein Hotel, als Teil des Trave Campus. Für die Schwarzwasserbehandlung der anfallenden Abwässer aus dem Hotel und den geplanten Quartiershäusern musste eine neue Lösung gefunden werden. Der vorhandene Schacht, die Dimensionierung der vorhandenen Schmutzwasserpumpstation und die geringe Anstauhöhe stellten ein Problem dar. Unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten sowie der Wirtschaftlichkeit (Ertüchtigung der vorhandenen Pumpstation und Druckleitungen) ergab eine an die zu erwartenden Wassermengen angepasste neue Schmutzwasserpumpstation die effizienteste Lösung.
Zur Schwarzwasserbehandlung der aus den Wohngebäuden und einem Fettabscheider anfallenden Abflüsse wurde im Baufeld 2 eine Schwarzwasser-Hebeanlage vom Typ ACO Doppelpumpstation Powerlift PSD-B-1500 installiert. Die Fertigteilpumpstation, integriert in einem Pumpenschacht, pumpt das Wasser über eine Rückstauschleife in die Sammelleitung an der Moislinger Allee. Das von den Verkehrsflächen des Baufeldes 2 und der Rampeneinfahrt gesammelte Oberflächenwasser wird zunächst in einen NS80 Bypass-Abscheider geführt. Vom Leichtflüssigkeitsabscheider des Typs ACO Oleopator Bypass C-FST NS10/100 wird das von Schadstoffen gereinigte Wasser in einen Regenwasserschacht und anschließend in die Trave geleitet. Aufgrund der Deckelhöhen und Entfernung zur Einleitstelle ist der Rückstau mit Pumpstation nicht nötig, da eine ausreichende Überhöhung gegeben ist. Auch dabei wurden technische und wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt, sowie verschiedene Alternativen der Ausführung für die Genehmigungsgespräche mit der zulässigen Behörde ausgearbeitet. Durch die Oleopator-Bypass-Lösung bestand die Möglichkeit Kosten und Platzbedarf der notwendigen Anlage zu halbieren. In die Betrachtung sind nicht nur die anlagentechnischen Aspekte eingeflossen, sondern auch Anforderungen an die Erdarbeiten, Logistik und Leitungsverminderung.
Letztlich ist dieses Bauvorhaben durch kontinuierliche Planungs- und Baustellenbetreuung zum Erfolg geworden. So ist ein wirtschaftliches und ökologisches Gesamtkonzept zur Regen- und Schwarzwasserbehandlung nach neuesten Stand der Technik entstanden. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass alle Arbeiten auf dem Gelände bei laufendem Betrieb ausgeführt und logistisch geplant werden mussten. Die angrenzenden Gebäude sind bewohnt und Parkplätze sowie Zugangsmöglichkeiten mussten stetig aufrechterhalten werden.