Starkregenereignisse und Überflutung
normkonforme Planung von Entwässerungsanlagen mit Überflutungsnachweis
Starkregenereignisse gehören wie auch länger anhaltende Trockenperioden mittlerweile zur Wetterlage unserer Breitengrade und sind Folgen des fortschreitenden Klimawandels. Können große Niederschlagsmengen im ländlichen Raum vom offenen Boden größtenteils aufgenommen werden und versickern, haben die versiegelten Flächen im urbanen Raum erhebliche Auswirkungen auf die Natur, Menschen, Infrastruktur und Gebäude. So sind beim Wohnungs- und Industriebau, Garten- und Landschaftsbau sowie Straßen- und Wegebau innovative Lösungen gefragt, die ein gesamtheitliches Regenwassermanagement bieten und den schonenden Umgang mit der Ressource Wasser favorisieren. Die Produktanforderungen an ein effektives Regenwassermanagement sind komplex: Regelwerke, Bauvorschriften und DIN-Normen müssen berücksichtigt werden. Es ist daher besonders wichtig, ganzheitliche Konzepte zu schaffen, damit Bauwerke und Freianlagen vor Schäden durch Überflutung geschützt bzw. etwaige Überflutungsereignisse schadlos und kontrolliert gestaltet werden. Um dies zu gewährleisten sind dort gegebenenfalls Rückhalteanlagen oder schadlos überflutbare Flächen für das Regenwasser zu berücksichtigen.
Zu diesem Zweck ist bereits 2002 erstmals die Führung eines Überflutungsnachweises in das Regelwerk DIN 1986-100 aufgenommen worden. Der Überflutungsnachweis 2002 (damals unter anderem auch Überflutungsprüfung genannt) war für Regenspenden zu führen, die einmal in 30 Jahren zu erwarten waren. Die zu berücksichtigende Regendauer richtete sich nach der „mittleren Geländeneigung“. Die zu berücksichtigende Regendauer betrug bei ebenen Flächen (< 1%) D = 15 Minuten, bei 1 Prozent bis 4 Prozent Geländeneigung D = 10 Minuten und bei größeren Geländeneigungen (> 4 Prozent) D = 5 Minuten. Mit der ermittelten Regendauer wurde die Differenz zu dem bemessenen Leitungssystem gebildet und ein Volumen errechnet, was auf dem Grundstück als zusätzliches Rückhaltevolumen zur Verfügung gestellt werden musste.
Die Bemessung von Rückhaltungen erfordert in der Regel die fachliche Zusammenarbeit von Objektplanern und Fachplanern. Je nach Aufgabenstellung, Grundstückssituation und Art des Projektes können die Abstimmung und der Umfang der einzelnen Leistungen einen erheblichen Aufwand bedeuten.
Grundlagen der Planung nach DIN-Normen und DWA-Arbeitsblätter
Je nach Art der angeschlossenen Fläche, Geländeneigung und Befestigungsgrad, sowie Lage des Bauvorhabens sind unterschiedliche Regenereignisse und Jährlichkeiten für die einzelnen Anlagenteile anzusetzen. Grundsätzlich gibt die DIN 1986-100 für Dachflächen eine Überschreitungshäufigkeit von mindestens fünf Jahren (T=5a) und für alle anderen versiegelten Flächen von mindestens zwei Jahren (T=2a) vor. Explizite Angaben zur maßgeblichen Jährlichkeit für Grundstücke mit Regenrückhaltung werden in der DIN 1986 nicht gemacht. In Abschnitt 14.9.4 heißt es aber: „Die zulässigen Jährlichkeiten liegen in der Regel in der Größenordnung der Kanalnetzbemessung (DWA-A 118).“ Hier wäre zusätzlich ein Hinweis auf das Arbeitsblatt DWA-A 138 sinnvoll gewesen. Gemäß DWA-A 138 werden dezentrale Versickerungsanlagen üblicherweise auf eine Jährlichkeit von n = 0,2/a (entsprechend T = 5 Jahre) bemessen. Im Arbeitsblatt DWA A 117 finden sich keine Vorgaben für die maßgebliche Jährlichkeit bei der Bemessung von Regenrückhalteräumen. Hier wird lediglich auf die Standards der DIN EN 752 und ATV-A 118 verwiesen. Nach Abschnitt 14.9.2 der DIN ist für Grundstücke > 800 m² abflusswirksamer Fläche ein Sicherheitsnachweis gegen schadlose Überflutung mit einem mindestens 30-jährigem Regenereignis zu führen. Liegt der Anteil der Dachflächen und nicht schadlos überflutbaren Flächen (z. B. auch Innenhöfe) über 70%, so ist die Überflutungsprüfung sogar für ein 100- jährigem Regenereignis durchzuführen.
In der DIN 1986-100 (2016) werden erstmals sowohl ein mittlerer Abflussbeiwert cm für die Bemessung als auch ein Spitzenabflussbeiwert cs für die Verwendung beim Überflutungsnachweis eingeführt.
Die „Grundlagen für Bemessungs- und Überflutungshäufigkeiten“ können den Tabellen 2 und 3 der DIN EN 752, sowie der Tabelle 2a der Din1986-100 entnommen werden. Eine vollständige Auflistung der Abflussbeiwerte bietet die Tabelle 9 der DIN 1986-100 unter Punkt 14.2.3.
Durchführung von Überflutungsnachweisen bei Versickerung und Rückhaltung
In Abhängigkeit zur geplanten Entwässerung muss auch der Überflutungsnachweis entsprechend ausgeführt werden. Hierbei werden Versickerungen und Rückhaltungen unterschiedlich behandelt. Die Sicherheit gegen Überflutung bzw. einer kontrollierten schadlosen Überflutung des Grundstücks, muss rechnerisch nachgewiesen werden. Ausnahmen gelten für kleine Grundstücke mit bis zu 800 m² abflusswirksamer Fläche. Bei größeren Flächen oder Grundstücken mit Hanglage sollten die Überflutungsnachweise mit Abflusssimulationsmodellen durchgeführt werden. Empfehlenswert ist dieser Nachweis allerdings auch schon bei kleineren Flächen. Führt der Planer diesen Nachweis nicht und kommt es infolge von Starkniederschlägen zu Schäden, so kann er ggfs. in Haftung genommen werden.
1. Überflutungsnachweis bei Einleitungsbeschränkung in Vorfluter und Kanalsysteme
Um Vorfluter und Ableitungssysteme vor Überlastung zu schützen bzw. deren Abführungskapazität nicht erhöhen zu müssen, werden zunehmend behördliche Auflagen erteilt. Die Abflussmengen von Regenwasser und Mischwasser müssen mit geeigneten Maßnahmen der Abflussdämpfung oder vorübergehender Speicherung (Rückhaltung) in Regenrückhalteräumen gemindert werden. Die diesbezüglichen Berechnungen erfolgen nach Arbeitsblatt DWA-A 117 „Bemessung von Regenrückhalteräumen“ der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. Die Bemessung von solchen individuellen Abwassernetzen ist Sache der jeweiligen Objekt- und Fachplanung. Zielsetzung ist es, diese zu konkretisieren und bei der genehmigenden Behörde in Form des Entwässerungsantrages mit einem geeigneten Erläuterungsbericht einzureichen.
Hierzu werden in einem iterativen Verfahren die, in das System eingeleiteten, Wassermengen gegen die zulässige Einleitbeschränkung aufgerechnet und so das benötigte Rückhaltevolumen bestimmt. Die Formel, die hierzu in der DWA-A117 vorgegeben wird, ist identisch mit der Formel 22 des, in der DIN1986-100 beschriebenen, Überflutungsnachweises:
VRRR=Au × rD,T /10000 × D × fZ×0,06⁄−D×fZ × QDr×0,06
Der Unterschied zwischen regulärer Auslegung und dem zu führenden Überflutungsnachweis besteht in den geänderten Rahmenbedingungen. Die größeren Regenspenden und, durch Verwendung von Spitzenabflussbeiwerten (Cs), ggfs. vergrößerten Anschlussflächen führen zu einem wesentlich größeren, zurückzuhaltenden Volumen. Auch müssen für den Überflutungsnachweis die unbefestigten Grundstücksflächen herangezogen und mit den entsprechenden Abflussbeiwerten angerechnet werden. Hieraus ergibt sich das absolute Volumen, das im Falle einer Überflutung auf dem Grundstück zurückgehalten werden muss.
Je nach Auslegung des geplanten Rohrleitungssystems kann dieses Volumen aufgeteilt werden in:
- Regenwasser, das einem Rückhaltesystem über die Rohrleitungen zugeführt werden kann. Dies kann durch Rigolen, Stauraumkanäle oder ähnliche Systeme geschehen.
- Regenwasser, das auf dem Grundstück in Freiflächen, Mulden oder anderen alternativen Speichermöglichkeiten kurzzeitig zurückgehalten werden muss.
Die Gleichung 20 wird bei Auslegung eines Rohleitungssystems mit dem 2-jährigen Regenereignis verwendet:
VRück = (r(D,30) × Ages−(r(D,2) × ADach×Cs,Dach+r (D,2) ×AFaG×Cs,FaG ))×((D×60) / (10000×1000))
Sind die Grundleitungen nach DWA-A 118:2006, Tabelle 4 und dem 2-jährigen Regenereignis bemessen, so kann statt des Bemessungsabflusses der (meist größere) maximale Abfluss der Grundleitungen bei Vollfüllung, Qvoll, angesetzt werden, siehe Gleichung (21):
VRück = ((r (D,30) ×Ages / 10000) − Qvoll ) × ( D×60/1000 )
Im Regelfall kann über ein nach DWA-A118 ausgelegtes Rohrleitungssystem mehr Wasser in das Rückhaltesystem eingeleitet und weniger Wasser in der Oberfläche zurückgehalten werden.
2. Überflutungsnachweis bei Versickerung von Niederschlagswasser
Im Zusammenhang mit Entwässerungsanlagen in Grundstücken ist es denkbar, dass das abzuführende Oberflächenwasser anstelle einer Abführung in den Vorfluter, bei geeigneter Qualität der anstehenden Böden, einer Versickerungsanlage zugeführt wird. Die diesbezüglichen Berechnungen erfolgen nach Arbeitsblatt DWA-A 138 „Planung, Bau und Betrieb von Anlagen zur Versickerung von Niederschlagswasser“. Das sich hieraus ergebende Volumen und die Wasseraustrittsmenge aus der Versickerungsanlage muss in den Überflutungsnachweis mit aufgenommen werden.
Hierzu hat die DWA Arbeitsgruppe ES3.1 bereits 2011 festgestellt, dass entgegen der zu dem Zeitpunkt geltenden DIN 1986-100 es sinnvoll ist, den ungünstigsten Fall zwischen zufließender Wassermenge und Abfluss aus der Rigole zu ermitteln. Im Regelfall tritt dieser erst bei längeren Regenereignissen ein. Auf Grund von abweichenden Abflussbeiwerten der unterschiedlichen Regelwerke kann die Differenz zwischen der Regelkonformen Versickerungsanlage und dem benötigten Überflutungsvolumen noch größer ausfallen.
Hierzu empfiehlt die DWA Arbeitsgruppe eine Modifikation der Gleichung 21:
VRück = [r (D, 30) * (Ages + As) / 10000 - (Qs + QDr)] * D * 60 * 10-3 – Vs
Hierbei ist Ages wieder die gesamte Grundstücksfläche, allerdings mit Spitzenabflussbeiwerten und As die Fläche der Versickerungsanlage. Der Abfluss aus der Rigole setzt sich aus der Sickerleistung (Qs) und einem eventuell vorhandenen Drosselabfluss (QDr) zusammen. Das bereits errechnete Volumen der Versickerungsanlage (Vs) wird anschließend vom errechneten Gesamtvolumen abgezogen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, ob der Austritt aus der Versickerungsanlage nur durch den Boden, die Seitenwände oder beiden möglichen Austrittsflächen stattfindet. Dies hat einen erheblichen Einfluss auf Qs und somit auf die errechnete Größe des Rückhaltevolumens.
Fazit
Beim Nachweis der schadlosen Überflutung im Falle von Starkregenereignissen ist nicht allein die Rückhaltung- oder Versickerungsanlage zu betrachten, sondern vielmehr das gesamte Entwässerungssystem und die Außenanlagengestaltung mit den zugehörigen Abhängigkeiten untereinander.
Für jedes Einzugsgebiet sollte das Überflutungsvolumen separat berechnet werden. In der Regel ist der höchste Wasserstand maßgebend, der sich bei einer Überflutung einstellen darf, ohne dass es zu Schäden kommt. Aus dem möglichen Wasserstand, der Grundfläche und Neigung ergibt sich das Überflutungsvolumen, welches für die anfallende Wassermenge zur Verfügung steht. Durch die Überflutung dürfen keine Menschen, Tiere oder Sachgüter gefährdet werden. Funktionsstörungen, beispielsweise die Überflutung von unterirdischen Einrichtungen oder auch Nachbargrundstücken, müssen ausgeschlossen sein. In manchen Fällen jedoch sind die geplanten Anlagen nicht in der Lage, das Überflutungsvolumen aufzunehmen. Der Nachweis des Überflutungsvolumens auf dem Grundstück geht deshalb oft über die reine Berechnung hinaus. Es ist vielmehr als eine freiraumplanerische Aufgabe zu sehen, die durch unterschiedlichste Maßnahmen bewältigt werden kann.
Mit dem erwarteten in Kraft treten der DWA-A102, die sich derzeitig noch im Gelbdruck befindet, muss bei der Auswahl der Maßnahmen insbesondere das ausgewogene Verhältnis von Oberflächenabfluss, Verdunstung und Versickerung beachtet werden. Ziel sollte es immer sein, diese Relation so nah wie möglich an den ursprünglichen, natürlichen Wasserkreislauf anzupassen. Hier werden Planung und Gestaltung künftig enger an regionale Verhältnisse adaptiert werden müssen.